Unter dem Titel „Krieg und organisierte Gewalt im Computerspiel. Militärhistorische Narrative, Räume und Geschichtsbilder“ fand vom 26. bis 28. November 2015 die Jahrestagung des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V. an der TU in Chemnitz statt.
Der Bochumer Historiker Martin Clauss machte bereits in seinen einführenden Worten deutlich, dass der Auseinandersetzung mit Geschichtsbildern in der akademischen Welt eine wichtige Rolle zukommt und leitete so zu den Theorien und allgemeinen Zugängen zur Militärgeschichte in Computerspielen über. In der Diskussion nach Redebeiträgen von Prof. Peter Ohler, Dr. Christoph Salge und des Spieldesigners Alexander Flegler wurde deutlich, dass die Einbindung historischer Ereignisse in Computerspiele mit dem Problem der oft dünnen Quellenbasis konfrontiert ist, was wiederum ein Grund für die stark variierenden Historizitäts- und Authentizitätsgrade – eine im Verlauf der Tagung immer wieder aufkommender Thematik – der Darstellung von Landschaften, Waffen oder Personen sei.
Dr. Georg Valtin charakterisierte Computerspiele als Mittel kontrafaktischen Denkens. Die Frage „Was wäre, wenn?“ im Spielverlauf selbst erproben zu können, biete nicht nur Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Ereignissen und Personen, sondern fördere zugleich das Interesse an historischen Themen. Trotz der Bemühungen um möglichst realitätsnahe Darstellungen von Schlachtverläufen und historischer Ereignisse seitens der Entwickler war jedoch allgemeiner Konsens, dass Computerspiele in erster Linie lukrative Unterhaltungsprodukte und weniger Instrumente der gezielten Wissensvermittlung sind.
Am zweiten Tag ging als erstes Heiko Brendel der Frage nach, ob die Datensätze der Spieleentwickler, die teilweise durch umfangreiche Archivrecherchen gewonnen werden, auch für die Geschichtswissenschaft von Nutzen sein könnten. In diesen Datenbanken würden nämlich zum Teil erstmals historische Wissensbestände erschlossen. Andererseits könnten solche Erkenntnisse jedoch nur schwer mit einem wissenschaftlichen Maßstab überprüft werden.
Danach referierte André Posters über das Geschichtsbild in Globalstrategiespielen. Durchweg seien hier eurozentrische Sichtweisen des 19. und 20. Jahrhunderts und Geschichtsbilder des Fortschrittes bzw. des Überlegenheitsgedankens der westlichen Kulturen verarbeitet. Die Fiktion einer Geschichte des „historischen Sandkastens“ stehe im Vordergrund, welche die Faszination der Spielkonzepte ausmache und einen entscheidenden Reiz zum Erwerb liefere.
Als Kontrast zu seinem Vorredner und zur Mehrheit der vorgestellten Spielkonzepte berichtete anschließend Dr. Julian Kümmerle über „Valiant Hearts“. Dieses Spiel verarbeitet die Geschichte des Ersten Weltkrieges mit einem Konzept der Empathie und dem Fokus auf die Lebenswelten der Kriegsteilnehmer. Aber anders als vermutet, ließe sich auch mit den vielen Zeitzeugnissen und persönlichen Überlieferungen nur der Anschein von Authentizität herstellen, da an vielen Stellen die Konstruktion der Entwickler hervorbreche.
Schließlich lenkte Prof. Stefan Piasecki den Blick wieder auf die Seite der Computerspieleentwickler, deren Überlegungen zur Konzeption oftmals auf das Interesse der Gamer und somit den ökonomischen Erfolg gerichtet seien. Die Spieler sollen als Teilnehmer einer bedeutenden und großen Auseinandersetzung emotional mitten ins Geschehen katapultiert und mittels „Big Pictures“ regelrecht gefesselt werden. Die Kombination zwischen technisch Möglichem, spielerisch Attraktivem und faszinierend Neuem bzw. Exotischen präge die Computerspiele von ihrer Konzeption bis hin zu den Modifikationen.
In seiner Vorstellung der Spiele „Total War: Rome“ I & II zeigte Dr. Christian Rollinger, wie in diesen Spielen Phantasmagorien und vermeintliche Authentizität aufeinander treffen. Denn neben historisch akkuraten Darstellungen von Uniformen finden sich auch Elemente, die nur spärlich belegt oder gar eindeutige Erfindungen sind, wie etwa Druidenbataillone oder brennende Schweine, die gegen Elefanten eingesetzt werden. Rollinger sprach von „inszenierter Authentizität“, da akkurat dargestellte Details als Garant für wahrgenommene historische Korrektheit fungierten. Durch stilistische Übertreibungen von antiken Erzählungen (z.B. nackt kämpfenden Germanen) werde das Geschichtsbild des Durchschnittsspielers angesprochen, welcher vor allem atmosphärisch in die Zeit zurückversetzt werden wolle.
Zu einem ähnlichen Befund gelangten auch Janko Dunker, Benjamin Dupke, Stefanie Reinhold und Coretta Storz, welche die Darstellung der Schlacht von Hastings im Spiel „Medieval 2: Total War“ untersuchten. Sie sprachen von bestimmten „Mittelalterchiffren“, welche aufgegriffen werden, um eine „Kulissenauthentizität“ zu schaffen.
Im letzten Vortrag über den „Kalten Krieg-Diskurs in digitalen Spielen“ referierte Dr. Eugen Pfister von der Funktion der Geschichte im Spiel vor allem als „Marke“. Diese habe die Funktion, dem Kunden als Orientierungshilfe zu dienen, sodass er gezielt kaufen könne.
Der letzte Tag begann mit einem Vortrag von Tim Kucharzewski, der gerade seinen Masterabschluss in unserem Studiengang Military Studies erhalten hat. Er widmete sich der Frage, wie kriminelle bzw. terroristische Vereinigungen das Medium Videospiel nutzen, um Propaganda an ein für sie interessantes Publikum zu richten und welche Motivationen dahinter stehen. Es wurde deutlich, dass es sich dabei um frei erhältliche Videospiele handelt, die modifiziert werden, wodurch sich ihre grundlegenden Narrative und Rollen umkehren.
Die Literaturwissenschaftlerin Daniela Kuschel referierte anschließend über den spanischen Bürgerkrieg im Spiel „Sombras de guerra: la Guerra Civil Española“. Hierbei konzentrierte sie sich auf die Möglichkeit des Kontrafaktismus, indem man beispielsweise die republikanische Seite den Konflikt gewinnen lassen kann, aber auch auf die noch in ihren Anfängen befindliche Aufarbeitung der franquistischen Diktatur in Spanien. Diese Problematik ließe sich auch an der Rezeption des Spiel in zwei opponierenden Lagern belegen.
Abschließend beschrieb Carolin Wendt Möglichkeiten, die sich in der Strategiespielreihe „Civilization“ eröffnen, um das Spiel ohne militärisches Vorgehen zu gewinnen. Hierbei erweiterten die Entwickler die Reihe im Laufe der Jahre um immer ausgeklügeltere Systeme der Diplomatie.
Die finale Diskussion der Tagung drehte sich erneut um Themen wie Ethik und Moral in Videospielen, und ob im Zweifel die „Durchsetzung“ dieser kontrolliert werden könne und inwiefern Möglichkeiten bestünden, das Wirken der in den Videospielen kolportierten Geschichtsbilder auf die Rezipienten zu messen und auszuwerten. Insgesamt wurden bei der Tagung mehrere interessante Ansätze für die Untersuchung der bislang wenig beachteten Darstellung von organisierter Gewalt in Computerspielen aufgezeigt, wenngleich mehr Fragen aufgeworfen wurden, als am Ende ausführlich behandelt werden konnten.
Bericht von Rebecca Burkert, Maximilian Marder, Thorsten Peger, Martin Schröder